Lengerich. Laute Stimmen sind auf dem Flur zu hören, Fäuste donnern an die Bürotür. Mit einem Knall fliegt sie auf. „Ey Du, ich habe große Probleme und Du löst sie für mich!“ Ein torkelnder Mann mit einer Bierflasche in der Hand baut sich vor der Mitarbeiterin des Beratungszentrums auf und zeigt mit dem Finger auf sie. „Und zwar jetzt sofort – sonst wird’s zappenduster.“ Ärger liegt in der Luft, mächtig Ärger. Bevor die Situation zu brenzlig wird, beendet der Mann die Szene. „Was ist Ihnen aufgefallen?“, fragt er die Teilnehmer.
Der Mann ist kein Angreifer, sondern Kriminalhauptkommissar Frank Draht von der Kreispolizeibehörde Steinfurt und die Situation zum Glück nur eine Übung. Draht leitet ein Deeskalationstraining für Diakonie-Mitarbeiter in den Beratungsdiensten. Seit 30 Jahren ist er Polizist und Experte für Kriminalitätsprävention und Opferschutz.
Was den Teilnehmern an der Übung aufgefallen ist? Na, zum Beispiel, dass der Angreifer den Fluchtweg für die Mitarbeiterin blockiert hat. Und dass er deutlich alkoholisiert war und eine Waffe dabeihatte: Seine Bierflasche.
Szenen wie diese sind zwar nicht an der Tagesordnung im Beratungszentrum der Diakonie in Lengerich, sie kommen aber vor. „Jeder von uns hat schon Situationen erlebt, wo einem mulmig wird“, ist sich das Team einig. Denn: Der Ton in der Gesellschaft wird rauer, und das überträgt sich auch auf Einrichtungen und Beratungsstellen, die Hilfe und Unterstützung bieten.
Worum es ihm beim Deeskalationstraining geht, macht Frank Draht den Teilnehmern unmissverständlich klar. „Damit Sie aus solchen Gefahrensituationen unbeschadet herauskommen. Das höchste Ziel des Tages sollte immer sein, gesund zu bleiben.“ Anhand der sogenannten Deeskalationstreppe erklärt Draht, was er meint und wie sich die Mitarbeiter in bedrohlichen Situationen verhalten sollten.
Die erste Stufe ist Sensibilisierung, also aufmerksam für potenziell gefährliche Situationen sein. Danach soll man sich einen Überblick verschaffen (Stufe 2). Draht: „Wo sind mögliche Fluchtwege? Schauen Sie auf die Hände des Angreifers. Hat er eine Waffe?“. Bei der dritten Stufe geht es um Distanz. „Mindestens eine Beinlänge“, rät der Experte. „Achten Sie darauf, dass sie bewegungsfähig bleiben, um sich in Sicherheit bringen zu können.“
Anschließend kommt die vierte Stufe: Kommunikation. „Versuchen Sie den Angreifer verbal zu beschwichtigen. Erzählen Sie ihm einfach irgendwas. Denken Sie sich notfalls Legenden aus, um wieder heil aus der Situation herauszukommen.“ In jedem Fall rät der Profi den Diakonie-Mitarbeitern, die 110 zu wählen und die Polizei rufen.